Dunkler Engel

Nacht. Dunkelheit. Stille. Friedlich. Kälte. Bewegung. Blätter fallen von den Bäumen. Herbst. Schritt für Schritt setze ich meinen Weg fort. Wohin? Irgendwo. Es spielt keine Rolle, denn das, was ich suche, kann nicht gefunden werden. Unter all den unmenschlichen Menschen scheint der menschliche Unmensch wohl das Schönste zu sein, wonach ich mich sehnen kann. Rascheln.

Ich drehe mich um. Leere. Nur der Nebel folgt mir unauffällig, schleicht um mich herum und nimmt mich in seiner Mitte gefangen. Einige Laternen versuchen der Dunkelheit Einhalt zu gebieten, vergeblich. Ich wende mich ab vom Licht, die Finsternis zieht mich zu sich, verschlingt mich und lockt mich mit all ihren Geheimnissen. Neugier macht sich breit. Wo mag er sein? Mein dunkler Engel. Wo nur versteckst du dich? Wie weit noch muss ich gehen, um mich dir hingeben zu dürfen? Warum nur bist du so faszinierend, dass keine Sekunde vergeht ohne die Frage: „Gibt es dich wirklich?“. Stop. Abrupt bleibe ich stehen. Was? Warum? Gerade ging ich noch und nun gehorchen mir meine Füße nicht mehr. Verzweifelt versuche ich meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen, als ich sie plötzlich spürte. Die Kälte. Diese unmenschliche Kälte und noch kältere Finger an meiner Wange, meinem Hals. Zärtlich die Haare zur Seite streichend. Spielerisch über meine Adern wandernd. Gierig, fesselnd mich an sich reißend, um im nächsten Moment mich liebend in den Arm zu nehmen. Vollkommen verängstigt, doch sicher zugleich, ließ ich mich fallen, gab mich ihm hin. Ihm. Diesem Tier, dieser Bestie, dem Schatten der Nacht, meinem Schicksal. Dann erklang sie und stahl mir mein Herz und nahm mir den Atmen und labte sich an meinem Unglück. Dunkel, hart, fordernd, tief, lockend, verehrend, gierig, verlangend zugleich war seine Stimme. Erst rechts, dann links, spielerisch umkreiste er mich, stieß mich von sich weg, um mich kurz darauf wieder zu sich zu ziehen. Immer wieder den Wunsch in mir hervorrufend. Ach, wäre ich doch nur Zuhause geblieben. So war nun die Zeit gekommen meinem Leben Lebewohl zu sagen. Lippen an meinem Hals, sanft küssend, kaum spürbar und doch präsenter als alles andere in diesem Augenblick. Ich schließe meine Augen. Schmerz. Ich schreie. Es tut weh. Ich will nicht mehr. Hör auf! Hör auf! Bitte .. nicht. Schwere Leichtigkeit macht sich in mir breit. Meine Augen öffnen sich, bloß einen Spalt, zu mehr bin ich nicht fähig. Mein Blick geht ins Leere. Akzeptanz. Plötzlich verschwindet die brennende Kälte, die sich zuvor in mein zartes Fleisch gebohrt hatte. Erneuter Schmerz. Dieses Mal an meinem Arm und meiner Hüfte. Ich liege am Boden. Geh nicht. Unsterbliches Verlangen durchdringt meinen Körper. Trink! Bring es zu Ende. So will ich nicht leben. Bleib. Ich bin dein. Nimm mich! Bitte .. reglos liege ich am Boden. Allein. Mein dunkler Engel schon längst nur noch Nebel.

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